09-06-1938

Firmenbriefkopf überstempelt mit „Emil Marx“ Gross-Gerau, den 9. September 1938

Lieber Martin.

Mit deinem Bf. 104 habe mich sehr gefreut und möchte dir hierauf erwidern, dass ich die Absicht habe, uns drei in Stuttgart vormerken zu lassen. Denn, wie man hört, sollen z.Z. schon 1500 Voranmeldungen sein. Man bekommt dann eine Nummer und wird es vielleicht März oder April, bis man an die Reihe kommt Du kannst dich ja mal umsehen, wen du als Zusatzbürge bekommst, wenn ich mal die Absicht habe, auszuwandern; aber bevor ich dir Nachricht gebe, brauchst du dieselbe nicht abzuschicken. Nur wäre es gut, wenn du mal deine Position verbessern könntest.

Wie ich die Woche hörte, hat Heini Hirsch seine Vertretung als Zeitungswerber aufgegeben und eine Vertretung für eine Wäscherei angenommen, für die er Kundschaft wirbt und die Wäsche abholt und dann den Leuten wieder bringt; hiervon ha er 30%. In der ersten Woche hat er 25 Kunden engagiert und schrieb, wenn er 40 Kunden hat, könnte er gut seine Familie ernähren. Zu diesem Zweck hat er sich ein Auto gekauft für 150 Doll. und muss wöchentlich oder monatlich, das weiss ich nicht genau, 3 Doll. abzahlen; diesen Posten hat er durch einen Onkel von Ernst bekommen, der im Vorstand eines jüdischen Comités ist. Vielleicht könnte dir Onkel Max auch mal so zu irgend etwas behilflich sein, wo du einen selbständigen Posten bekommen könntest; dass du evtl. auch mal deine Fam(ilie) hier ernähren könntest. Sprich hierüber mal mit Max Herz oder seinen Jungens oder mit Winters. Du musst dich eben sehr danach umsehen. Wie dir ja schon schrieb, bekommt Curt vom 10. Septbr. auch einen neuen Posten durch Udo, wo er wesentlich mehr verdient, weshalb er auch mit der Bürgschaft für seine Eltern bis dahin warten will. Bertel und Curt schreiben beide sehr vergnügt.

Heute waren Else und Job hier und wurden teleph.(onisch) nach L(angen) Lohnsheim gerufen, da Job´s Mutter einen Schlaganfall bekam. Ich rief um 2 Uhr an und sagte mir Else, dass sie noch nicht bei Bewusstsein sei. Die Frau hat sich in den letzten Tagen sehr über das Auswandern aufgeregt. Hoffentlich erholt sie sich wieder.

Sei du herzl. geküsst von d. Vater.

Lieber Martin! Wir sind immer mehr in Sorge um Zukunft und hat uns Dein Brief ordentlich gut getan. Was Hede betrifft, glaube kaum, dass irgend was annehmen kann, höchstens, dass mit Kindern spazieren gehen kann; ich hätte Euch Essen zu geben und auch Crawatten machen sagt mir zu.

Ich freue mich, dass Gina Dir so lieb geschrieben hat und hoffen, (dass) alles mit den Verwandten in St. Louis Erfolg hat.

Wir waren in W(orms)..?.ich und holte Hede ab, überall dasselbe Klagelied, wenn Rosel und Sig. nur schon soweit für Buenos Aires wären, das heute auch so schwer ist. Wir wollen den Mut nicht verlieren, sonst sind verloren. Alice hat gesehen, wie uns zu Mut ist. Gina schrieb diese Woche, dass von allen an die sie geschrieben (hat), noch nichts gehört hat; gebe ihr bitte Antwort.

Heute hatten Hochbetrieb Johanna Kahn war auch da - trotz des Regens. Freuen uns immer wenn alte Freunde uns besuchen. Am vergangenen Sonntag waren Hugo, und Thekla hier; vor den Feiertagen kommt jeder, habe sie leider nicht gesprochen.

Wir wollen die Winterabende mit Kaufmanns uns alle in englisch vorbereiten mit unseren Vorkenntnissen üben uns. Wir nähen? und flicken und nähen , dass immer alles in Ordnung ist. Recht herzl. Grüsse Joh. Kossmann.

Linker Rand und Briefkopf

Lieber Martin! Ich habe mich auch sehr mit Deinen lieben Zeilen gefreut; hoffentlich sehen wir uns bald in U.S.A:.....?...Onkel Alex war in Berlin....?..aufs Schiff hoffentlich hat er gut F...?...Bleib gesund...?.Herzl. Gruß und Kuß Deine Tante Hilda

Dear Martin,

Your letter No 104 made me very happy and I would like to let you know that I am planning to register the three of us in Stuttgart. As we heard, there are already 1500 requests. One gets a number, and it should perhaps last until March or April when we get our turn. You could look around already who you can get as an additional sponsor, when I am planning to emigrate. But before I let you know, you don’t need to send this out. But it would be definitely great if you could improve your finances. As I’ve heard Heini Hirsch gave up his Newspaper business and instead took on a laundry shop. He is getting new clients picks up and delivers the laundry and gets 30 % for this. He got 25 new clients in the first week and wrote that when he has 40 clients, he can support his family from that. For this purpose he bought a car for 150 dollars and he has to pay, either weekly or monthly, I am not sure, 3 dollars to pay it off. He got this job through an uncle of Ernst who is on the board of a Jewish committee. Perhaps Uncle Max could help you, too, to get such an independent position; so that you, too, could support your family eventually. Talk to Max Herz or his boys or Winters about this. You really must make an effort about this. As I had already written, Curt will get a new job as of Sept 10 through Udo, where he will earn much more so that he only have to wait till then to be able to send the affidavit to his parents. Bertel and Curt seem very happy.

Today Else and Job were here and called Langen Lohnsheim on the phone because Job’s mother had a stroke. I called at 2 and was told by Else that she was not yet conscious. The woman has been very stressed out about the emigration lately. Hopefully she will recover soon.

Warm kisses from your Father.

Dear Martin,

We are worried more and more about our future, and you letter felt great to read. Regarding Hede, I don’t think she can do much; at most she can walk children; I would have given you food and I like to make ties, too.

Glad to hear Gina wrote you such a nice letter and hope all will be well with the relatives in St. Louis.

We have been to Worms and I picked up Hede. Everywhere the same worry about Rosel and Sig who are so far in Buenos Aires, which is hard today, too. We do not want to lose our courage, or else all will be lost. Alice could tell how badly we felt. Gina wrote this week that nobody has responded to her of all who she had written. Please answer her.

Today we had high season, Johanna Kahn was here, too – despite the rain. We are always happy to see old friends. Last Sunday Hugo and Thekla visited; they all come before the Holidays, but I did not speak with them, unfortunately.

During the winter nights we want to practice our English skills with the Kaufmanns. We sew, we mend, we sew – just so all is taken care of. Warm greetings Joh. Kaufmann.

Left margin and letterhead:

Dear Martin,

I was glad to see your letter, too; hopefully we see each other soon in the U.S.A. ….? Uncle Alex was in Berlin…? On the ship, hopefully he has a good journey??? Stay healthy. Warm greetings and kisses Your Aunt Hilda.