02-08-1938

Firmenbriefkopf, Gross-Gerau, den 8. Februar 1938

Lieber Martin

Wir freuten uns sehr mit dem schönen Bild vom Gerer (= Gerauer) Treffen; demnach zu urteilen, muss Walther ein kräftiger Junge geworden sein. Ich kann mir denken, dass euer aller Freude gross war; denn, wenn man sich solange nicht gesehen, hat man sich doch vieles zu erzählen. Wie geht es Walthers Mutter und Geschwister? Was tun sie? In deinem letzten Brief staunst du über die vielen freudigen Ereignisse, aber heute muss dir leider eine sehr traurige Mitteilung machen.

Denke dir mal: Herbert Gottschall von Kl(ein)-Gerau, der jetzt in Amsterdam verheiratet war, ist am Sonntag beim Kartenspiel an einem Herzschlag gestorben. Es ist dies nicht auszudenken! - ein junger blühender Mensch von 30 Jahren und seine Frau erwartet in 4 Wochen das erste Kind und seine Eltern, die vor kurzem nach Frankfurt gezogen, wollten doch zu ihm auswandern, und wie es den Eltern jetzt geht, muss man abwarten. Herbert soll ja einen Herzfehler gehabt haben. Der Mensch denkt , Gott lenkt.

Du schriebst, dass Stanley jetzt auch photographiert und nehme ich an, dass du ihm beim Anschaffen seines Apparates behilflich warst.

Am Donnerstag fahre nach Bernburg zu Alexens 70. Geburtstag und will ich sie überraschen. Berthel ist auch zu Hause und wird einige Wochen bleiben, da sie ihre Sachen zur Auswanderung zurecht machen lässt; dann hat sie noch Vertretungen, dann heiratet sie und wird im Mai fahren.

Wenn du einige Kleinigkeiten brauchst, so nimmt sie dir Berthel mit. Ebenso werden Max Guthmann´s Kinder bald reisen; ihre Papiere sind in Stuttgart.

Gestern sind bei Salomons einstweilen die ersten Möbel in die neue Wohnung gekommen; die werden auch in 6 Wochen gehen.

Hede ist heute nach Darmstadt und nimmt jetzt dorten bei Frl. Kätsch engl. Stunden. Sie fährt wöchentlich einmal hin. Seither gab dies Frl. hier Stunde; aber jetzt rentiert es nicht mehr für sie, die Reise zu machen.

Du frugst über die verschiedenen Geldeingänge; die gehen langsam ein. Gruning? Schuldet noch 1900.- Schneider 4000.-, Knoblauch 3300; muss bis August zahlen, da er bis dahin einen Bauplatz in dieser Höhe verkauft. Scherer schuldet noch 2000,-, die sein Schwager im Juni 1939 zahlen muss; bei ihm ist Scherer´s Hausgeld gepfändet; von Schulz bekommen jetzt in aller Kürze Mk 2500 durch die Bausparkasse in Darmstadt, da er im December? gezogen wurde. W. Anthes ist immer noch 9 ½ schuldig; er bezahlt ja wöchentlich ab, aber langsam. Die Waldehereinigung (Waldenser-Einigung?) hat jetzt einen Acker von ihm gekauft und bekomme ich von derselben Mk 700.- -mit dem muss man grosse Geduld haben.

Nun glaube dir ziemlich alles geschrieben zu haben. Grüsse alle Bekannten und Verwandten von mir und sei du noch geküsst von deinem Vater.

Briefkopf.

Wir nähen heute, Betty ist da. Vater hat alles berichtet; sollen noch die Beethoven Platten, die zu Hause haben, bei Gelegenheit mitgeben? Du hast sie mal gekauft. Was sagst Du, dass Vater nach Bernburg fährt; (ich) redete ihm zu.

Recht herzl. Grüsse. Habt ihr auch so schönes Wetter? Frau Kossmann, Betty und Hede lassen grüssen.

Dear Martin,

We were very happy to receive the nice picture of the Gerauer meeting. To judge from it, Walther has become a strong big boy. I can imagine how much fun you had; for, when you have not seen one another for such a long time, you have a lot of stories to tell. How are Walther’s mother and sister doing? What do they do for a living? In your last letter you were amazed about all the good news, but, I am afraid, today I have very sad news for you.

Just imagine: Herbert Gottschall from Klein Gerau, who has just married in Amsterdam, passed away from a heart attack on Sunday, during the card game. This is just not possible! A healthy young man of only 30, and his wife is expecting their first child in 4 weeks and his parents who moved to Frankfurt recently, they wanted to emigrate to him. What will happen to his parents – we must wait and see. Herbert had some problem with his heart, they say. Man proposes, God disposes.

You wrote that Stanley is also doing photos now; I assume you had helped him to get his equipment.

On Thursday I drive to Bemburg to Alex’ 70th Birthday and want to surprise them. Berthel is also at home and will stay for a few weeks to have her things put together for the emigration; then she has a few things to finish, then she will get married and in May she will leave.

If you need some small things, she can take them with her. Max Guthmann’s children too are going to leave soon. Their paperwork is now in Stuttgart. Salomon’s first furniture pieces were put temporarily into the new place yesterday; they, too, will leave in 6 weeks.

Hede is in Darmstadt today to take English classes with Miss Kätsch. She goes there weekly. First this woman used to come here, but now it is not worth her time to travel here.

You have asked about different monies to come in. Gruning: still 1900 owing. Schneider 4000.-, Knoblauch 3300; He has to pay by August since he will sell a piece of real estate for that amount. Scherer still owes his brother- in-law 2000 that he has to repay by June 1939; He holds Scherer’s money for the house. We’ll get 2500 Marks from Schulz soon, via the Bausparkasse in Darmstadt, as it was held from him in December? W. Anthesstill owes 9.5; he pays weekly but slowly. The Waldehereinigung (Waldenser-Einigung?) bought some land from them I’ll get 700, but one must be extremely patient with them.

Well, I guess I have reported just about everything I had. Say hello to all and warm kisses from your Father.

Letterhead:

We are sewing today with Betty. Father told you everything; Should we send you the Beethoven discs from here, if the opportunity arises? You had bought them back then. What do you think about Father going to Bemburg? I had talked him into it.

Warm greetings. Do you also have nice weather?

Mrs. Kossmann. Betty and Hede are saying hello.

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